Neokolonialismus mit Nestlé

Armut schreibt sich in die Körper ein, Übergewicht etwa ist häufig ein Marker sozialer Ungleichheit, was innerhalb einzelner Gesellschaften gilt wie auch im internationalen Vergleich. Eine diese Woche veröffentlichte Studie der Schweizer NGO Public Eye zitiert Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO, denen zufolge sich die Zahl fettleibiger Kinder in den vergangenen vierzig Jahren verzehnfacht (!) hat. Die grosse Mehrheit dieser Kinder lebt in Schwellenländern. Zugleich belegt die Studie anhand des Beispiels Nestlé, dass die Nahrungsmittelmultis an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt sind.

So hat Public Eye in Kooperation mit dem «International Action Network for Infant Food» Nestlé-Produkte für Babys und Kleinkinder auf Zuckerzusätze untersucht – der Schweizer Konzern kontrolliert weltweit rund zwanzig Prozent dieses Marktes. Getestet wurden knapp 150 Artikel, die er in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen vermarktet und dort unter anderem von reichweitenstarken Influencer:innen als besonders gesund für den Nachwuchs preisen lässt. Das Ergebnis: Während das Unternehmen in reichen Ländern wie der Schweiz auf Zuckerzusätze verzichtet, ist das im Globalen Süden mitnichten der Fall. Ein konkretes Beispiel ist der Getreidebrei Cerelac mit «Biscuit-Geschmack», den man in der Schweiz ohne Zuckerzusatz erwerben kann; in Südafrika oder dem Senegal dagegen wird er mit sechs Gramm zugesetztem Zucker vertrieben.

Diese Doppelstandards bezeichnet Karen Hofman, Kinderärztin und Professorin für öffentliche Gesundheit an der Universität Witwatersrand in Johannesburg, gegenüber Public Eye als «kolonialistische Praxis, die nicht toleriert werden darf». Es gebe «generell keinen triftigen Grund, Babynahrung Zucker hinzuzufügen» – wobei die Crux gerade in dem «generell» liegt, denn bei Nestlé scheint man der Ansicht zu sein, dass es doch einen Unterschied gibt zwischen reichen weissen Babys und Kleinkindern einerseits und ärmeren nichtweissen andererseits.

Nestlé entgegnete auf die Studie, dass man sich an geltende Vorschriften halte. Babynahrung sei eine stark regulierte Produktgruppe, so ein Unternehmenssprecher: «Überall, wo wir tätig sind, entspricht unser Portfolio entweder lokalen Vorschriften oder internationalen Standards, einschliesslich der Schwellenwerte für den Kohlenhydratgehalt, der Zucker umfasst.» Der WHO-Experte Nigel Rollins vermutet dagegen, dass der zugesetzte Zucker Teil einer Geschäftsstrategie ist: Gegenüber Public Eye sagte er, dass Hersteller wie Nestlé versuchen würden, Kinder frühzeitig an einen bestimmten Zuckergehalt zu gewöhnen. Dann würden sie auch später Produkte mit hohem Zuckergehalt bevorzugen. Am besten natürlich ebenfalls mit dem Logo des jeweiligen Nahrungsmittelmultis.